Neue Übersichtsstudien zeigen: Masken vermindern die Ansteckung mit potenziell gefährlichen luftübertragenen Erregern wie Sars-CoV-2 – auch nach der Pandemie.
Von Nik Walter, Tagesanzeiger, 07.11.2023
Es hustet, rotzt und schnieft allerorts – im ÖV, im Supermarkt, am Arbeitsplatz. Das hat zumindest teilweise mit den wieder steigenden Zahlen von Corona-Infektionen zu tun, aber nicht nur. Denn auch diverse Erkältungsviren, das RS-Virus, Influenza und grippale Infekte haben derzeit wieder Hochkonjunktur.
Sie alle werden durch die Luft übertragen, besonders gut in Innenräumen, wo sich viele Menschen aufhalten. Und gegen all diese Erreger gibt es eine einfache Methode, mit der man das Risiko einer Übertragung reduzieren kann: mit einer Gesichtsmaske, am besten einer vom Typ FFP2.
Nur: Fast niemand trägt heute noch eine Maske. Zu sehr scheint der Mund-Nasen-Schutz die Menschen an die Pandemie zu erinnern – und davon will ja niemand mehr etwas wissen. Aus den Augen, aus dem Sinn. «Wir haben vom Panik- in den Gleichgültigkeitsmodus gewechselt», sagt der Epidemiologe Antoine Flahault, Direktor des Institute of Global Health an der Universität Genf.
Wir haben vom Panik- in den Gleichgültigkeitsmodus gewechselt.
Antoine Flahault, Universität Genf
Dabei sei «die Datenlage klar», schreibt Tom Frieden, Ex-Direktor der US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control (CDC), auf X. «Masken können das Risiko vermindern, Covid zu verbreiten und sich selbst anzustecken.» Dies ist auch das Fazit einer Ende Oktober im Fachblatt «Jama Network Open» publizierten Übersichtsarbeit. Das Ziel des Autorenteams um Tom Frieden war es, eine Grundlage zu schaffen, um künftige Pandemien besser zu bewältigen. Ihr Resümee: «Gesichtsmasken sind wahrscheinlich eine wichtige Massnahme, um auf künftige Bedrohungen durch neue Atemwegserreger zu reagieren.»
Zu einem ähnlichen Schluss kommt die britische Royal Society. In einem Report zur Wirksamkeit von nicht pharmazeutischen Interventionen (NPI) – dazu zählen neben Masken auch Massnahmen wie Abstandhalten, Lockdowns, Testen, Nachverfolgung von Kontakten und weitere – schreibt sie: «Studien kommen übereinstimmend – wenn auch nicht hundertprozentig – zum Schluss, dass Maskenpflicht und das Tragen von Masken wirksame Massnahmen zur Reduktion von Infektionen waren.»
Seit Beginn der Pandemie steht die Maskenfrage im Zentrum hitziger Debatten. Im Frühling 2020 liessen das Bundesamt für Gesundheit BAG und die Weltgesundheitsorganisation WHO verlauten, dass ein Nutzen der Masken für gesunde Personen nicht erwiesen sei. Dies war vor allem eine Schutzbehauptung, weil es schlicht an Masken für die gesamte Bevölkerung mangelte. Später änderte das BAG die Empfehlungen, heute heisst es auf der Website: «Da das Coronavirus durch Tröpfchen und Aerosole übertragen wird, können Masken Sie und andere vor einer Infektion schützen.»
Öl ins Feuer der Maskendebatte goss im vergangenen Juni eine – umstrittene – Metastudie des Forschungsnetzwerks Cochrane. Masken in der Bevölkerung, hiess es in der Studie, hätten wahrscheinlich keinen oder nur einen geringen Einfluss auf das Auftreten von Grippe- oder Covid-ähnlichen Erkrankungen. Sofort meldeten sich Kritiker. Lautstark monierten sie unter anderem, dass die Cochrane-Forschenden in ihrer Analyse vor allem ältere Studien mit Grippe- oder Erkältungsviren berücksichtigten. Cochrane musste sich umgehend für die falsche Interpretation der Studie entschuldigen.
Das Hauptproblem der Cochrane-Analyse: Sie berücksichtigte ausschliesslich sogenannte randomisierte, kontrollierte Studien (RCT), die zwar in vielen Bereichen der Medizin als Goldstandard dienen – vor allem bei der Testung neuer Therapien –, die aber gerade bei der Maskenfrage in die Irre führen können. Haben die Probanden die Maske immer richtig getragen? Haben sie sich angesteckt, als sie zum Beispiel zu Hause die Maske ablegten? Welchen Maskentyp haben sie getragen? All diese Faktoren können die Resultate von derartigen Studien massiv verzerren.
Sicherheitsgurten brauchen auch keine klinischen Tests
Für die Beantwortung der Frage, wie gut Masken vor einer Infektion oder der Weitergabe von Viren schützen, seien randomisierte, kontrollierte Studien daher nicht der Goldstandard, schreibt das Team um Tom Frieden und Shama Cash-Goldwasser in der Übersichtsarbeit. Viele hochwirksame Regeln und Empfehlungen, die Krankheiten und Verletzungen vorbeugen, seien nie in derartigen Studien getestet worden: Sicherheitsgurten, Motorradhelme, Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, Rauchverbot in Innenräumen etc.
Das gelte auch für die Masken, schreiben die Forschenden weiter. Wie der Sicherheitsgurt sind Masken im Prinzip ein technisches Hilfsmittel, dessen Wirksamkeit unter Laborbedingungen zur Genüge bewiesen wurde. Zudem hätten mit Fortschreiten der Pandemie viele hochqualitative Daten den Nutzen der Masken klar bestätigt. Demnach können Masken zwar nie einen absoluten Schutz bieten, sie können aber helfen, Ansteckungen und Erkrankungen einzudämmen. Nur seien solche Studienergebnisse durch die einseitige Aufmerksamkeit auf randomisierte, kontrollierte Studien aus dem Fokus geraten, schreibt das Team.
Eine qualitativ hochwertige Studie publizierten kürzlich chinesische Forschende im Fachblatt «Nature Communications». Sie untersuchten die Wirksamkeit verschiedener nicht pharmazeutischer Interventionen während 131 Ausbrüchen in der Pandemie in China, von April 2020 bis Mai 2022 (in der Zeit, als sich China komplett abschottete).
Demnach konnte eine Maskenpflicht den sogenannten R-Wert um 25 Prozent (Vor-Delta) bis 50 Prozent (Omikron) senken. Der R-Wert gibt an, wie viele Menschen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt. Ähnlich hohe Reduktionen des R-Werts fanden die Forschenden für Massnahmen des Abstandhaltens und für das Contact-Tracing.
«Die Studie ist sehr interessant», sagt Antoine Flahault, auch wenn sie in einem autoritären Regime und unter einer Null-Covid-Strategie durchgeführt worden sei. Bei uns habe es zwar auch eine Maskenpflicht gegeben, die sei aber niemals so rigoros durchgesetzt worden wie in China. Daher sei China wohl optimal geeignet gewesen, um eine solche Studie durchzuführen. «Wir wissen nun, dass Masken auch in einer realen Welt sehr wirksam sein können», sagt Flahault.
Die Situation aktuell in der Schweiz ist eine ganz andere. Trotzdem kann die Maske auch bei uns nach wie vor einen Schutz bieten – für einen selber und vor allem für die Mitmenschen, wenn man selbst an einem Atemwegsinfekt erkrankt ist. Denn gerade bei gefährdeten Personen, vor allem solchen mit einem geschwächten Immunsystem, kann eine Infektion mit Sars-CoV-2 oder einem anderen Erreger zu schwerwiegenden Verläufen führen. Zudem birgt jede Sars-CoV-2-Infektion für einen selber ein kleines Risiko für lang anhaltende Symptome, sprich: Long Covid.
Wie Masken am besten schützen, weiss der Experte Antoine Flahault:
Wer selbst an einer Atemwegsinfektion leidet, kann die Mitmenschen durch das Tragen einer OP-Maske gut schützen. «Schon mit einer OP-Maske kann man die Menge an Viren, die an die Umgebungsluft abgegeben werden, drastisch reduzieren», sagt Flahault.
Wer sich selbst schützen will, sollte allerdings eine FFP2- oder FFP3-Maske tragen. «Eine FFP2-Maske schützt viel wirksamer als eine OP-Maske, wenn nur wenige Menschen eine Maske tragen», sagt Flahault. «Ich finde es immer ein wenig traurig, wenn ich sehe, dass sich fragile und vulnerable Menschen mit einer OP-Maske selber schützen wollen.»
Die Maske bietet noch weitere Vorteile: Sie schützt nicht nur vor Sars-CoV-2-Viren, sondern auch vor allen durch die Luft übertragenen Erregern wie Erkältungs- oder Influenzaviren. «Ich will mich weder mit Sars-CoV-2 noch mit einem Grippe-ähnlichen Erreger anstecken», sagt Flahault.
All diese Massnahmen gelten in erster Linie für den Aufenthalt in schlecht gelüfteten Innenräumen oder öffentlichen Transportmitteln. Flahault rät daher zur Vorsorge: «Ich empfehle, immer dann eine Maske zu tragen, wenn die CO2-Konzentration in einem Innenraum den Wert von 800 ppm übersteigt, oder auch im ÖV, wenn die Reise länger als 15 Minuten dauert.»
Nik Walter ist Redaktor im Team Wissen der Redaktion Tamedia. Der promovierte Biologe schreibt seit 1997 für Tamedia, von 1999 bis Ende 2021 leitete er das Ressort Wissen. Schwerpunkte bilden Life Sciences, Medizin und Wissenschaftspolitik. 2013 hat er den Prix Media der Akademie der Naturwissenschaften gewonnen.
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